BPB-Verlag, Buchenhüll 96, 85072 Eichstätt

BPB-Verlag

Reihe diritto Wissenschaft

Hans-Ludwig Schmidt:
Kinder erleben das Krankenhaus. Deprivation und Trennungstrauma im Lichte neuerer psychologischer Forschung,
Hrsg.: Erhard Hischer
1992. - VI, 119 S., ISBN 3-927728-19-5, Eur[D] 11,90

 

Cover Geleitwort des Herausgebers

„Schädigt Krankenhausaufenthalt das Kind?“ Aus eigener über 20-jähriger wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dieser Frage ist dem Herausgeber die Brisanz der Grundproblematik „Deprivation und Trennungstrauma“ bekannt. Gerade auch bei der Betreuung verschiedener akademischer Studien zeigte sich immer wieder eine Widersprüchlichkeit zwischen populärwissenschaftlichen Aussagen beziehungsweise öffentlichem Bewusstsein einerseits und gediegener Forschung zu diesem Thema andererseits.

Einseitigkeit verengt deutlich die Blickrichtung hin zu einer lediglich negativen Sichtweise einzelner Trennungserfahrungen von Kindern (zum Beispiel durch Krankenhausaufenthalt) und erklärt Störungen bei Kindern und Jugendlichen nur monokausal.

In dankenswerter Weise deckt Hans-Ludwig Schmidt präzise diese Problematik auf, auch das immer wieder verengt-dogmatische wissenschaftliche Nachdenken und Interpretieren.

Sein bereits vom Ansatz her originelles und innovatives Vorgehen lässt gerade im Hinblick auf die wissenschaftstheoretische und gesellschaftspolitische Bedeutung der Thematik außerordentliche Kompetenz erkennen. Folgerichtig beginnt die Publikation mit der Darlegung realer Gegebenheiten des Kinderkrankenhauses heute als „Lebensraum auf Zeit für kranke Kinder und ihre Eltern“. Dass diesbezüglich nicht nur eine organisationssoziologische Beschreibung erfolgt, sondern begründet angegeben werden kann, wie die Realisierung von Forderungen der klassischen Deprivationslehre an das Kinderkrankenhaus unter heutigen Bedingungen gleichsam neuerlich in die alte Misere führt, besticht zum Auftakt, und zwar als Reflexion einer sehr interessanten, differenzierten Paradoxie-Perspektive. Stringent wird von da her die je epochal diskutierte Fragestellung „Welche Erkenntnisse haben wir nach neuesten psychologischen Forschungen über das Phänomen Deprivation und das Problem der Traumatisierung durch Trennung?“ auf ein neues Niveau gehoben. Die Beantwortung der Frage beginnt mit einer prägnanten Darstellung, aber auch kritischen Würdigung der klassischen Deprivationslehre als bisher einzige „Argumentationsbasis für das Krankenhaustrauma“.

Es kennzeichnet die fachliche Versiertheit des Autors, dass er einzelne Forschungsergebnisse nicht lediglich additiv aus der Literatur zusammenstellt, sondern klassische Axiome in Hypothesen extrapoliert und – von ihm selbst zugegeben – pointiert formuliert, die als Grundpfeiler der Deprivationslehre gelten können und oft in verabsolutierter Diktion tradiert wurden.

Hans-Ludwig Schmidt begrenzt die Bedeutsamkeit dieser grundlegenden Hypothesen anhand neuester psychologischer Forschung vortrefflich begründet auf das ihnen angemessene Maß und trägt außerdem zu ihrer Differenzierung bei.

Dadurch werden sehr wohl die prinzipiellen Verdienste klassischer Deprivationslehre gewürdigt. Andererseits jedoch öffnet der Autor mit seiner Arbeit neue, wissenschaftlich fundierte und zeitgemäße Horizonte des Verständnisses. Vermeidung von Trennungsschmerz ist individuell keineswegs ein Schutz vor Hospitalismus und Deprivation, ebenso wie Trennungsschmerz nicht zwingend derartige Entwicklungen bedingt.

Solche Erkenntnisse markieren in jüngster Zeit einen Paradigmawechsel der psychologischen Forschung zum Thema und werden vom Autor im Schlusskapitel als entlastende Informationen für betroffene Eltern, Kinder und Prakti- ker angeboten. Sie sollten aber auch Korrekturen im Bewusstsein der Öffentlichkeit ermöglichen und insbesondere neue Zugangsweisen für die künftige Erforschung dieser Problematik erschließen. Gezielte Überspitzungen fordern ein Um- und Weiterdenken heraus.

Der Verfasser bietet außerdem eine Zusammenstellung der einschlägigen Literatur, die bezüglich der deutschsprachigen Quellen den Titel-Nachweis des Literaturinformationsdienstes der Zentralstelle für psychologische Information und Dokumentation an der Universität Trier erheblich erweitert, was wiederum sehr verdienstvoll ist für die künftige Forschung. Souveräne Kenntnis und Verarbeitung dieser Literatur zeichnen die Publikation von Hans-Ludwig Schmidt zusätzlich aus, so dass sie insgesamt Fachvertreter differenziert zu inspirieren und Betroffene zu ermutigen vermag. Denn die übertriebene Vermeidung von Trennungsschmerz kann ihrerseits Sozialisations- und Individuationsdefizite bewirken.

Der Autor

Hans-Ludwig Schmidt, Jahrgang 1949, Dr. phil., Dipl.-Päd. (Univ.), M.A. in Psychologie, arbeitet seit 1988 als Pädagoge und Psychologe in der Kinderklinik St. Elisabeth, Neuburg/Donau. Von 1976 bis 1987 war er Assistent und Akademischer Rat am Lehrstuhl Sozialpädagogik der Katholischen Universität Eichstätt, im Wintersemester 1987/88 und im Sommersemester 1988 beauftragt mit der Wahrnehmung der Professur für Sozialpädagogik an der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal, außerdem im Wintersemester 1990/91 als Professor für den Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik I an der Katholischen Universität Eichstätt tätig. Seine wichtigsten Veröffentlichungen sind: Theorien der Sozialpädagogik (1981), Forensische Probleme (im Lehrbuch: Die Individualpsychologie, A. Adlers, 1982), Die Welt unserer Kinder im Krankenhaus von heute (als Mitherausgeber, 1983), Leben verantworten (als Mitherausgeber, 1987).

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 © Peter Mösgen Peter Mösgen 16. April 2003